Partizipation als Chance
unserer Pädagogik

Einrichtung

St. Konradihaus Schelklingen

Partizipation, was ist das – machen wir das nicht schon immer? – Auf einmal, so schien es, war es da – das Stichwort „Partizipation“. Verantwortung und Mitsprache ermöglichen – eigenständig Lösungen finden …

Dieser Grundsatz ist für uns Auftrag und Verpflichtung zugleich. Wir betrachten Partizipation in unserer Einrichtung als weiteren „Erfolgsfaktor“ in der Arbeit mit den uns anvertrauten jungen Menschen.


Das St. Konradihaus

Die Stiftung St. Konradihaus ist eine Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe und als Mitglied im Bundesverband katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen e.V. (BVkE), dem Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart, als Dachverband, angeschlossen. Als Jugendhilfeeinrichtung bieten wir ein ergänzendes Angebot von Wohnen, Schule, Ausbildung und begleitenden Beratungsdiensten. Wir kümmern uns um alle Kinder und Jugendliche und deren Familien, die Hilfe benötigen.

Projektbeispiel

Wie alles begann

Das Projekt „Partizipation als Chance unserer Pädagogik“ musste zunächst allen Mitarbeitern nahegebracht, erklärt und miteinander diskutiert werden.


Aussagen wie:

  • //„Das machen wir doch schon immer“
  • //„Partizipation muss auch klarstellen, dass Jugendliche nicht überall mitentscheiden können“
  • //„Kinderrechte schön und gut – aber wo bleiben die Rechte der Mitarbeiter“
  • //„finden wir klasse, auf gleicher Augenhöhe gemeinsam miteinander Dinge zu vereinbaren“

geben einen kleinen Einblick in die Mannigfaltigkeit der unterschiedlichen Haltungen aller Mitarbeiter wieder, sei es im Bereich Wohnen, Schule oder Ausbildung.

Die Tatsache, dass das neue Kinderschutzgesetz die Einrichtungen dazu verpflichtet, verbindliche Regelungen und Qualitätsstandards zu entwickeln, die eine demokratische Beteiligung der Kinder und Jugendlichen im Heim sicherstellen, war letztlich sehr hilfreich, Partizipation als gelebte Einrichtungskultur im St. Konradihaus zu implementieren.

Also haben wir uns ans Werk gemacht. Zunächst wurde ein Arbeitskreis „Partizipation“ zusammengestellt, welcher Anfang April 2013 im Rahmen einer konstituierenden Sitzung seine Arbeit aufgenommen hat. Der Arbeitskreis bestand aus Mitarbeitern aller Bereiche, sowie der Leitungsebene. Natürlich durften die Jugendlichen nicht fehlen, denn letztlich geht es um deren Beteiligungsrechte. Insgesamt haben 13 Mitarbeiter und 6 Jugendliche mitgewirkt. Ziel war es, inhaltliche und strukturelle Voraussetzungen als Grundlage einer gelingenden Partizipation im St. Konradihaus zu erarbeiten. Das Ergebnis wurde dann im Januar 2014 im Rahmen einer Kick-Off-Veranstaltung allen Mitarbeitern und Jugendlichen sowie den Verwaltungsräten der Stiftung präsentiert.

Bereits während der Vorbereitungsphase wurde Wert darauf gelegt, alle Mitarbeiter und Jugendlichen fortwährend über den jeweils aktuellen Stand zu informieren.

Wie haben wir das gemacht?

  • //Veröffentlichung der Protokolle im Intranet
  • //Themenbezogene Gruppenstunden, Info in Schule und Ausbildung
  • //Permanenter Tagesordnungspunkt in den verschiedensten Gremien und Konferenzen
  • //Projektinformation an alle Mitarbeiter (Infobrief)
  • //Handout

Eine solche Veranstaltung, vor allem in dieser Größenordnung, war bis dahin im St. Konradihaus einzigartig. Eindrucksvoll konnte dadurch ein prägendes Bewusstsein bzgl. der Bedeutung und Wichtigkeit der Beteiligungsrechte von jungen Menschen erzeugt werden. Auch gerade deshalb, weil am programmindizierten Ablauf alle Einrichtungsebenen vertreten waren. Angefangen vom Vorsitzenden des Verwaltungsrats, über Schul- und Bereichsleiter bis hin zu den Gruppenleitern und Mitarbeitern und natürlich den Jugendlichen. Die einzelnen Programmpunkte reichten von themenzentrierten, teils bebilderten Kurzvorträgen, selbst produzierten Filmbeiträgen, Kurzinterviews bis hin zu theatertauglichen Rollenspielen.

Projektbeispiel

Soweit so gut – die Stunde NULL

Die inhaltlichen und strukturellen Grundlagen waren nun geschaffen und die Beteiligungsrechte waren implementiert. Jetzt galt es diesen Strukturen Leben einzuhauchen.


Wie haben wir dieses gemacht?

  • //Wahl der Vertrauensbetreuer in den Bereichen Wohnen, Schule und Ausbildung
  • //Weiterbildung der Vertrauensbetreuer
  • //Wahl der Gruppen-, Klassen- und Werkstattsprecher (Februar 2014)
  • //Konstituierende Sitzung der Bereichsräte (März 2014)
  • //Konstituierende Sitzung des Konradirats (Mai 2014)
  • //Kümmerer: Partizipationsbeauftragter und pädagogischer Leiter

Wie sieht die Struktur aus? Die Struktur lässt sich am besten in Form einer Pyramide darstellen.

Basisräte

Das Grundgerüst bilden die sogenannten Basisräte, welche in den jeweiligen Gruppen, Schulklassen und Ausbildungsgängen gebildet wurden. Jeder Basisrat wählt einen Basisratsprecher, welche in ihrer Gesamtheit wiederum für ihren jeweiligen Bereich einen Bereichsratsprecher wählen. Die Basisräte werden durch die Gruppenmitarbeiter, die Lehrer und Ausbilder begleitet und bei Bedarf unterstützt.

Bereichsräte

Die gewählten Bereichsratsprecher bilden den Bereichsrat. Aus deren Mitte wird ein Bereichsratsprecher gewählt, welche kraft Amtes gleichzeitig Mitglied im Konradirat sind. Die Bereichsräte werden durch die Wohnbereichsleiter, die Lehrer und Werkstattleiter begleitet und bei Bedarf unterstützt

Konradirat

Der Konradirat ist das oberste Vertretungsgremium der Jugendlichen. Der Konradirat wählt aus seiner Mitte einen Konradiratsprecher, seinen Stellvertreter und einen Schriftführer. Der Konradirat wird durch den pädagogischen Leiter begleitet und bei Bedarf unterstützt.

Flankierend werden die einzelnen Gremien durch den Partizipationsbeauftragten als auch durch die Vertrauensbetreuer begleitet und bei Bedarf unterstützt. Die Vertrauensbetreuer können gleichzeitig auch Anlaufstelle bei Beschwerden von Jugendlichen sein. Durch die insgesamt 35 Basisräte ist sichergestellt, dass jeder Jugendliche erreicht wird und dieser einmal pro Woche die Möglichkeit hat, seine Anliegen einzubringen, bei Entscheidungsprozessen mitzusprechen sowie demokratische Umgangsformen zu erlernen.

Die ersten Gehversuche

Zu Beginn hat sich gezeigt, dass der Umgang mit den demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten auf jedweder Ebene ungewohnt und daraus folgend die „technische“ Umsetzung dementsprechend holprig war. Dies galt sowohl für die Jugendlichen, aber auch für deren Betreuer. Schnell hat sich gezeigt, dass es vielmehr einer innerlichen Grundhaltung aller Beteiligten bedarf, als dem Wissen über formale Abläufe in den Gruppenstunden bzw. Sitzungen der einzelnen Gremien. So haben wir uns nach etwa sechs Monaten dazu entschlossen, eine erste groß angelegte Reflexion in Form einer zwar formalen, jedoch offenen Befragung aller Beteiligten (Betreuer und Jugendliche) durchzuführen.

Fragestellungen waren:

  • //Wie oft haben Basisratsitzungen stattgefunden?
  • //Wie sehe ich meine Rolle als Betreuer?
  • //Wie sehe ich meine Rolle als Jugendlicher?
  • //Gab es Entscheidungen, die nach der Besprechung in den
    Räten umgesetzt worden sind?
  • //Wo sollten die Jugendlichen bei Entscheidungen verstärkt
    eingebunden werden?
  • //Was hindert die Arbeit in den Räten, was wäre hilfreich?
  • //Wo liegen die Grenzen und Möglichkeiten von Partizipation?
  • //Fühle ich mich als Jugendlicher mit meinen Vorschlägen und
    Ideen angenommen?
  • //Gibt es Unterstützung im Hause?

Die Auswertung dieser Befragung kann aufgrund der hohen Anzahl an Rückläufern als repräsentativ bezeichnet werden. Hierbei hat sich beispielsweise herauskristallisiert, dass es auf der mittleren Ebene zu viele Bereichsräte gibt. Die Hauptaufgabe der Bereichsräte lag vor allem im Weiterleiten von Themen oder formalen Anträgen an den Konradirat bzw. im Zurückgeben derselben an die Basisräte. In der Tat konnten und können ca. 80% - 90 % der Anliegen in den Basisräten direkt vor Ort besprochen und bei Bedarf auch entschieden werden.

So wurde der Arbeitskreis „Partizipation“ wieder aktiviert und in einer gemeinsamen Sitzung die Zusammenlegung der drei Wohnbereiche zu einem Wohnbereich beschlossen. Der Arbeitskreis besteht nach wie vor und kann bei Bedarf jederzeit aktiviert werden.

Partizipation - Gott sei Dank

Zwar ist die Ungestümheit das Vorrecht der Jugend, dennoch waren viele Jugendlichen gezwungen sich in Geduld zu üben. Vermeintlich tolle Vorschläge in den Gremien sollten sofort zur Umsetzung gebracht werden. Sind diese Vorschläge jedoch mit zusätzlichen Kosten oder Aufwand verbunden, können diese nicht immer gleich umgesetzt werden, weil die entsprechenden Entscheidungsträger erst noch gehört werden müssen. Exemplarisch möchte ich an dieser Stelle zwei Themen nennen, welche per schriftlichem Antrag aus den Basisräten über die Bereichsräte an den Konradirat, mit dem Anspruch auf zeitnahe Umsetzung, weitergeleitet worden sind.

Zusatzurlaub für Auszubildende:

Der Basisrat unserer Schreinerwerkstatt hat über den Bereichsrat „Ausbildung“ einen Antrag auf Gewährung von 4 zusätzlichen Urlaubstagen gestellt. Dieser Antrag wurde zunächst im Bereichsrat diskutiert – natürlich für gut befunden – und zur Entscheidung an den Konradirat weitergeleitet. Da hier zum einen arbeitsrechtlich relevante Normen und zum anderen der Gleichbehandlungsgrundsatz ins Kalkül gezogen und zudem auch die Frage der Maßnahmenfinanzierung beantwortet werden muss, hat sich hieraus ein über Wochen dauernder Prozess der Prüfung, Kalkulation und Abwägung ergeben. Allerdings war das Ergebnis, welches der Konradirat an die untergeordneten Instanzen weiterleiten durfte, sehr erbauend. Anstatt den 4 zusätzlichen Urlaubstagen wurden 7 Urlaubstage gewährt.

Dies war gleichzeitig auch ein Meilenstein, weil die Jugendlichen – in diesem Fall hauptsächlich die Auszubildenden – erlebt haben, dass sich ein vernünftiges Vorbringen eines Anliegens gepaart mit einer gewissen Geduldfähigkeit am Ende auszahlen kann. Partizipation – Gott sei Dank

WLAN auf den Gruppen:

Der Gedanke WLAN auf den Gruppen zu haben war deutlich älter als das Projekt „Partizipation“ – kann man sich denken. Nun haben unsere Jugendlichen, aufgrund der gemachten Urlaubserfahrung, den Mut gefasst, diesem Anliegen durch einen formalen Antrag an den Konradirat, Nachdruck zu verleihen. Als ich diesen Antrag im Rahmen der Gesamtgruppenleiterkonferenz mit den Gruppenleitern besprochen habe, wusste ich das Ergebnis allerdings bereits im Vorfeld. Überwiegend wurden hier ausschließlich die Gefahren eines WLAN gesehen. Dieses Ergebnis wurde dann wiederum im Konradirat diskutiert – und wen wundert’s – hier war das Ergebnis genau das Gegenteil. Allerdings kam hier der Vorschlag eine Arbeitsgruppe, bestehend aus zwei Gruppenleitern, zwei Jugendlichen, dem EDV-Beauftragten sowie dem pädagogischen Leiter, ins Leben zu rufen. Tatsächlich konnte diese Arbeitsgruppe ein Eckpunktepapier zur Einführung von WLAN im St. Konradihaus entwickeln. Nach einer anschließenden Kostenkalkulation konnte WLAN in einem Pilotprojekt getestet und letztlich flächendeckend eingeführt werden.

Partizipation – Gott sei Dank

Projektbeispiel

Wir haben laufen gelernt - ein Resümee

Die Grundstrukturen haben sich gefestigt und auch der Glaube an den Grundsatz „Verantwortung und Mitsprache ermöglichen – eigenständig Lösungen finden“ ist gewachsen. Allerdings hat das Partizipationsprojekt einen kleinen Knick erfahren, indem uns unser Partizipationsbeauftragte abhandengekommen ist. Er war im wahrsten Sinne des Wortes die treibende Feder und mit vollem Engagement, Überzeugung und vor allem Herzblut bei der Sache. Die Suche nach einem adäquaten Nachfolger war bisher nicht von Erfolg gekrönt. Doch sind wir überzeugt, dass wir in naher Zukunft einen Verantwortlichen finden werden, welcher sich der Partizipation und den Beteiligungsrechten im St. Konradihaus widmen wird.


Aussagen wie:

  • //„seit ich in den Konradirat gewählt wurde, bin ich bei meinen
    Kumpels anerkannt“
  • //„ich fühle mich gut, weil ich mich für die anderen einsetzen kann“
  • //„wir sind ein tolles Team, das etwas bewegen kann“
  • //„ich freue mich schon jetzt, wenn ich die tolle Nachricht
    überbringen kann“

sind nach Abschluss des Projekts der Beleg dafür, dass sich Partizipation und Beteiligung in jedem Fall bewährt hat. Gleichzeitig ist dies auch die Triebfeder, dem eingeschlagenen Weg treu zu bleiben und diesen zum Wohle unserer Jugendlichen weiter auszubauen.

Es hat sich gezeigt, dass Partizipation von Regelmäßigkeit und Kontinuität lebt. Aber das alles entscheidende ist unsere pädagogische Grundhaltung in der alltäglichen Arbeit mit den uns anvertrauten jungen Menschen. Diese Grundhaltung sollte von Kongruenz, Akzeptanz und Empathie auf der persönlichen, der strukturellen sowie der Handlungsebene augenscheinlich werden. Hier bietet uns gelebte Partizipation die Chance zur Veränderung unserer Pädagogik – und dafür sollten wir dankbar sein!

Thomas Kesenheimer
Pädagogischer Leiter – St. Konradihaus Schelklingen