Partizipation als Chance
unserer Pädagogik

Einrichtung

Kinder- und Jugenddorf Marienpflege Ellwangen

Das Projekt hat unser Bewusstsein für Kinderrechte geschärft. Es war an der Zeit, die Kinderrechte von Mitarbeiter/innen und von Kinderseite zu beleuchten und diese auch verständlich für alle zu verschriftlichen. In einem eigens entwickelten Ampelsystem haben wir die Go´s und No Go´s für Kinder und Mitarbeiter/innen konkret zusammengefasst….


Wer wir sind

Das katholische „Kinder- und Jugenddorf Marienpflege Ellwangen“ ist eine kirchliche Stiftung privaten Rechts. Wir betreuen hilfebedürftige Kinder, Jugendliche und Familien ungeachtet ihrer konfessionellen Herkunft oder Konfessionslosigkeit. Organe sind der Aufsichtsrat und der Vorstand. Die Stiftungsaufsicht übt der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart aus. Wir sind dem Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart angeschlossen. Im Kinder - und Jugenddorf Marienpflege wachsen etwa 105 Kinder und Jugendliche auf. Im Fachzentrum Inobhutnahme stehen 28 Plätze zur Verfügung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Die Rupert-Mayer-Schule bietet etwa 160 Schülern einen täglichen Lernort. 55 Kinder besuchen Ganztageskindergarten und Ganztageskrippe. Die Psychologische Beratungsstelle begleitet und berät etwa jährlich 160 Familien. Über 20 Familien werden von uns durch ambulante Dienste wöchentlich in Erziehungsfragen beraten.

Rund 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in sind in Voll- und Teilzeit für das Wohl der Kinder und Familien tätig.



Wo findet man bei uns bereits bestehende Beteiligungsformen?

Die aktive Beteiligung unserer Kinder und Jugendlichen zur aktiven Umsetzung der Kinderrechte, zur Mitgestaltung ihres Lebensraums und zur Erfahrung von Selbstwirksamkeit ist uns ein großes Anliegen. Bereits seit den 70er Jahren gibt es in der Marienpflege den Kinder- und Jugenddorfrat, welcher bis heute als festes Beteiligungsinstrument in unserer Einrichtung verankert ist.

Der Kinder- und Jugenddorfrat bildet sich aus Gruppensprecherinnen und Gruppensprecher aller stationären Wohngruppen in unserer Einrichtung. Diese werden am Anfang jedes neuen Schuljahres in einer geheimen Wahl von den Kindern und Jugendlichen der jeweiligen Gruppe gewählt. Die Aufgaben der Gruppensprecher und Gruppensprecherinnen bestehen darin, die Belange, Wünsche und Anregungen ihrer Gruppenmitglieder zu vertreten, in die Sitzung einzubringen, Informationen weiterzugeben und an der Umsetzung der Anliegen mitzuarbeiten. In unseren monatlich stattfindenden Sitzungen im Kinder- und Jugenddorfrat behandeln wir Themen, die allgemein das gesamte Kinderdorf betreffen. Im vergangenen Jahr standen vor allem folgende Themen im Mittelpunkt.

  • //Unbegleitet minderjährige Flüchtlinge in unserer Einrichtung
  • //Handy- und Internetnutzung
  • //Kinderdorfgeländeordnung
  • //Willkommenskultur in unserer Einrichtung
  • //Planung des Sommerferienprogramms
  • //Ideen und Anregungen für das Zusammenleben in der Einrichtung

Auch die Teilnahme am AGE-Projekt „Partizipation als Chance der Pädagogik“ prägt unseren Alltag stark. Jedes Jahr nehmen wir auch am Caritas-Jugendforum teil und bieten auch dort einen Workshop zum Thema Kinderrechte an, welchen die Gruppensprecherinnen und Gruppensprecher zusammen vorbereiten.

Durch das AGE-Projekt angestoßen, wurde im Kinderdorf eine Umfrage durchgeführt, um festzustellen, wieviel Partizipation im Kinderdorf schon gelebt wird und wo es noch Entwicklungsbedarfe gibt. Dazu wurden alle Kinder und Jugendlichen der stationären und teilstationären Wohngruppen, des Betreuten Jugendwohnen, der Kindertageseinrichtungen, sowie alle Schüler und Schülerinnen unserer Rupert-Mayer-Schule befragt.

Auch die Mitarbeitenden der Wohngruppen und Schule wurden befragt. Die Ergebnisse der Befragungen wurden in einer großen Kinderkonferenz vorgestellt, wozu alle unsere Kinder und Jugendlichen eingeladen waren. Die Ergebnisse der Mitarbeiter/innen stellten die Mitglieder der neu gegründeten „Projektgruppe Partizipation“ im Rahmen einer Erzieherkonferenz vor.

Die Fragebögen für die Kinder und Jugendlichen erstellten wir in Zusammenarbeit mit den Gruppensprechern und Gruppensprecherinnen, um sicherzustellen, dass jedes Kind und Jugendlicher diesen verstehen kann, aber auch um den Fragebogen so zu gestalten, dass er ansprechend für Kinder und Jugendliche aussieht. Die Befragung stellte eine Grundlage dar, um weiter im Prozess zu einer Einrichtung, die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen groß schreibt, zu kommen. Natürlich galt es, alle Mitarbeitenden aller Bereiche und alle Kinder und Jugendlichen für diesen Prozess mitzunehmen.

Ziel ist es eine gute Beteiligungskultur in unserer Einrichtung zu schaffen, was nur gelingen kann, wenn alle an einem Strang ziehen und sich auf neue Wege einlassen möchten. Die Rücklaufquote der Fragebögen der Kinder lag bei 75%, die bei den Mitarbeitenden bei nahezu 100%.

Die Befragung allein hat schon vieles angestoßen. Jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin hatte die Möglichkeit seine und ihre Wünsche und Ideen einzubringen, aber auch die Stolpersteine und Bedenken zu äußern. Durch die Befragung wurde uns bewusst, dass wir bereits sehr viele partizipative Standards in unserer Einrichtung haben und diese auch leben. Wir erhielten zudem wertvolle Anregungen zur Weiterentwicklung der Partizipation in unserer Einrichtung, wie z.B. das Installieren von regelmäßigen Eltern- und Familientagen in den Gruppen oder Entwicklung einer Willkommensmappe für Kinder und Jugendliche. Aktuell arbeiten wir im Arbeitskreis an unserer Willkommenskultur und haben ein Beschwerdesystem entwickelt. Außerdem wurden Vertrauenspersonen in einer geheimen Wahl von den Kindern und Jugendlichen gewählt und anschließend auch geschult. Wir arbeiten auch aktuell an der Frage der Nachhaltigkeit von Partizipation in der Einrichtung. Wie können wir unsere erarbeiteten Beteiligungsinstrumente immer wieder präsent machen, wer ist dafür zuständig und welche Verantwortungen liegen bei wem. Der Arbeitskreis zum Thema Partizipation ist dabei einer der wichtigsten Instrumente.

Der Weg zum Ampelsystem für die Mitarbeiter/innen – Prozessbeschreibung

Die Entstehungsgeschichte unseres Ampelsystems für Mitarbeitende

Insbesondere ausgelöst durch unsere Teilnahme am bundesweiten Projekt „Prävention sexueller Missbrauch“ des BVKE und des IKJ entstand in einer Gruppenleitungskonferenz im Jahr 2013 eine Diskussion unter den Mitarbeitenden: Was darf ich als Erzieher oder Erzieherin? Welches Handeln ist gesetzeswidrig oder schränkt Kinder und Jugendliche in ihren Rechten ein? Es wurde eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aus allen Arbeitsbereichen gebildet, die sich mit der Entwicklung eines sogenannten „Handlungsleitfadens“ für Erzieher und Erzieherinnen auseinandersetzen sollte.


Im Arbeitskreis wurden Handlungsfelder und Beispiele aus der alltäglichen pädagogischen Arbeit gesammelt und auch Lösungsansätze aus anderen Einrichtungen gesichtet. Nach langen Diskussionen entschied man sich für ein Ampelsystem mit einer grünen und einer roten Ampel – somit keine orange Ampel. Die Absicht war, dass wir als Jugendhilfeeinrichtung ganz klare Go´s und No Go´s definieren wollen: „Was halten wir für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen für förderlich? Was ist untersagt im Umgang mit den anvertrauten Kindern und Jugendlichen, weil es deren Entwicklung schadet?“ Andere Einrichtungen hatten auch einen orangen Ampelbereich, der zwar die schädigenden, aber noch nicht rechtlich relevanten Tatbestände auflistet. Wir wollten den Mitarbeitenden mit der roten und grünen Ampel eine klare Orientierung für ihr professionelles Handeln geben.

In mehreren Treffen wurde ein erster Entwurf für die rote und grüne Ampel erstellt. Der erste Entwurf des Arbeitskreises wurde 2014 in einer großen Konferenz aller Mitarbeitenden der Marienpflege (pädagogische Personal im Heimbereich und den Kindertagesstätten, Lehrer und Lehrerinnen, aber auch Hauswirtschaft, Hausmeisterei, Verwaltung und Leitungsteam) vorgelegt. 87% aller Mitarbeitenden war dort anwesend! Die Beteiligung der nichtpädagogischen Mitarbeitenden war ein großes Anliegen, denn auch diese haben Umgang und Kontakt mit den Kindern und Jugendlichen. Und die Kinder und Jugendlichen sollen im Alltag erleben können, dass die Spielregeln für alle Erwachsenen gelten. Wenn Kinder Sorgen oder Konflikte haben und reden wollen, suchen sie sich häufig eine Person ihres Vertrauens und nicht zwangsläufig den gerade diensthabenden Mitarbeiter der Wohngruppe. In Kleingruppen wurden die Entwürfe miteinander durchgesprochen, neue Ideen dazugeschrieben, Kritik geäußert und Ergänzungen vermerkt. Es entstand viel Gesprächs- und Diskussionsbedarf. Unsicherheiten entstanden bei der Bewusstmachung der Kinderrechte und auch bei der Frage: „Welche Handlungsmöglichkeiten habe ich als Betreuer oder Lehrer? Wie kann ich auch intervenieren und Grenzen setzen, wenn nötig?“

Mit den Ergebnissen der großen Konferenz setzte sich der Arbeitskreis erneut zusammen und überarbeitete diese, fügte Punkte mit hinzu, klärte offene Fragen und ergänzte neue Ideen. Der daraus entstandene zweite Entwurf wurde dem Leitungsteam vorgelegt. Auch hier konnten noch offene Fragen, Ideen und Ergänzungsvorschläge geklärt werden.

Nach erfolgreichem inhaltlichem Abschluss und Gestaltung des Layouts wurde die Endfassung in Druck gegeben. In Form eines handlichen Leporellos (10 mal 10 Zentimeter, Flyer im Zick-Zack-Falz) ist unser Ampelsystem sehr übersichtlich geworden. Unseren Kinder- und Jugenddorfrat gibt es schon seit Jahrzehnten. Er setzt sich aus den Gruppensprechern und Gruppensprecherinnen zusammen, die zu jedem Schuljahresbeginn neu gewählt werden. Das Ampelsystem wurde auch diesem Rat vorgelegt, erklärt und gemeinsam besprochen. Die Gruppensprecher und Gruppensprecherinnen wurden dann beauftragt in der nächsten Gruppenkonferenz das neue Ampelsystem ihren Gruppenmitgliedern vorzustellen und es ebenfalls mit Hilfe der Erzieher und Erzieherinnen den Mitbewohnern und Mitbewohnerinnen zu erklären.

Den Mitarbeitenden wurde das fertige Ampelsystem in einer Gruppenleitungskonferenz vorgestellt und ausführlich erklärt. Die Gruppenleitungen haben anschließend die Leporellos mit in die Teamsitzungen genommen und dort weitergegeben. Den Lehrern und Lehrerinnen unserer Schule am Heim wurde das Leporello in einer Gesamtlehrerkonferenz durch ein Mitglied des Arbeitskreises vorgestellt.

Alle Mitarbeitenden und Kinder haben es erhalten, neue Mitarbeitende erhalten es im Einführungskurs, neue Kinder und Jugendliche mit der Heimaufnahme. Die Gruppensprecher und Gruppensprecherinnen und auch die Erzieher und Erzieherinnen sind beauftragt das Ampelsystem für Mitarbeitende öffentlich in den Gruppen auszulegen, es regelmäßig in Gruppenkonferenzen präsent zu machen und in Teambesprechungen wiederkehrende Reflektionen einzubauen, die sich auf die Grundsätze im Handlungsleitfaden beziehen.



Noch ein Ampelsystem - von und für Kinder und Jugendliche

Nachdem bereits ein Ampelsystem für unsere Mitarbeitenden aller Bereiche erarbeitet wurde, kam im Herbst 2015 die Frage nach einer vergleichbaren Orientierung für unsere Kinder und Jugendlichen – von unseren Kindern und Jugendlichen aus den Wohngruppen, die den ersten Handlungsleitfaden gelesen hatten.

Derselbe Arbeitskreis konnte sich auch wieder zu diesem Thema zusammen finden. Im ersten Treffen beschloss dieser, dass das Ampelsystem der Kinder und Jugendlichen auch von diesen erstellt werden sollte. So wurde in der folgenden Sitzung des Kinder- und Jugenddorfrates, in dem alle Gruppensprecher und Gruppensprecherinnen unserer Gruppen monatlich zu einer Sitzung zusammen kommen, das Ampelsystem für Mitarbeitende nochmals erklärt. Die Kinder und Jugendlichen sahen ebenfalls den Bedarf an einem Ampelsystem für Kinder und Jugendliche, nachdem es für die Erwachsenen schon vorlag. Auch hier wurde eine klare Entscheidung für eine rote und grüne Ampel getroffen und gegen eine orange Ampel. Die Kinder und Jugendlichen haben ebenfalls ihre Entscheidung damit begründet, dass dann ganz klare „Go´s“ und „No Go´s“ vorliegen.

Jeder Gruppensprecher und jede Gruppensprecherin erhielt in der Sitzung ein grünes und ein rotes Blatt. Aufgabe war in der folgenden Gruppenkonferenz mit den anderen Gruppenmitgliedern auf diesen Blättern erwünschte und unerwünschte Verhaltensweisen aufzuschreiben, die sie für wichtig hielten. In der darauffolgenden Sitzung des Kinderdorfrates wurden die grünen und roten Blätter eingesammelt und zusammengefasst. Es gab doch sehr viele Doppelungen, wie z.B. nicht rauchen bei den No Go´s oder Dienste erledigen und seine Meinung äußern bei den Go´s. Der Arbeitskreis hatte somit schon die Arbeit abgenommen bekommen und überlegte sich nun noch, ob auch diese Ampel in Form eines Leporellos gedruckt werden soll.

Das Layout wurde noch mit Zeichnungen einer Jugendlichen vervollständigt und in den Druck gegeben. Der Kinder- und Jugenddorfrat war schon ganz gespannt auf die frisch gedruckten Verhaltensampeln. Ende April 2016 lagen die gedruckten Handlungsleitlinien dann gedruckt vor, ebenfalls als handliches Leporello im Zick-Zack-Falz. Jede unserer 12 Wohngruppen erhielt ausreichend Exemplare.

Die Gruppensprecher und Gruppensprecherinnen hatten nun auch wieder die Aufgabe, die Leporellos in der kommenden Gruppenkonferenz einzubringen und mit den Gruppenmitgliedern durchzusprechen und offene Fragen zu klären. Dies war natürlich gut möglich, da die Kinder und Jugendlichen die Punkte selbst eingebracht haben und auch die Sprache der Kinder und Jugendlichen nicht verändert wurden, so dass sie es gut verstehen können.

Die Kinder und Jugendlichen haben sich gefreut, dass ihre Idee so erfolgreich aufgegriffen und umgesetzt wurde. Sie sind stolz auf „Ihren“ Handlungsleitfaden. Die Mitarbeitenden erleben, dass sich - auch im Heim neu aufgenommene - Kinder und Jugendliche ernsthaft mit diesen Spielregeln auseinandersetzen und bei Bedarf daran erinnern lassen. Genauso nehmen manche Kinder und Jugendliche unsere Mitarbeitenden vereinzelt in die Pflicht und erinnern sie an den Handlungsleitfaden. Es kommen naturgemäß dennoch immer wieder Grenzüberschreitungen beiderseits vor, die nun aber ganz anders und schneller wieder in Normalität geführt werden können, besonders dank dieser beiden Handlungsleitfäden.



Zitate aus der Einrichtung:



„Die Teilnahme am Partizipationsprojekt hat das Thema Beteiligung in der Einrichtung lebendig gemacht!“ (Bereichsleitung)

„Beteiligung macht Kinder stark. Es ist deutlich spürbar im Alltag!“ (Mitarbeiter, stationären Wohngruppe)

„Partizipation bewirkt mehr Austausch und Diskussion mit den Kindern und Jugendlichen!“ (Bereichsleitung)

„Seit die Kinderrechte in Form unseres Ampelsystems noch mal verschriftlich wurden, spürt man eine deutliche Zunahme des Verantwortungsgefühls der Gruppensprecher/innen.“ (Bereichsleitung)


Kathrin Vaas
Diplom-Sozialpädagogin (BA)