Partizipation als Chance
unserer Pädagogik

Einrichtung

Stiftung St. Anna Leutkirch

Abschlussbericht des Projekts „Partizipation als Chance unserer Pädagogik“ in der Stiftung St. Anna, Leutkirch. Im Rahmen des Projekts „Partizipation als Chance unserer Pädagogik“ rückte die Stiftung St. Anna das Thema Partizipation in den Fokus.


Systemischer Ansatz, demokratisches Grundverständnis

In St. Anna wird nach dem systemischen Grundverständnis gearbeitet. Das heißt, dass alle pädagogischen Mitarbeiter obligatorisch zu diesem Thema ausführlich geschult werden. Der systemische Ansatz ist grundsätzlich ohne die Beteiligung von Kindern, Jugendlichen, Eltern und weiteren, an der Hilfe beteiligten, nicht denkbar. Somit gibt es in St. Anna ein partizipatives Grundverständnis und eine partizipative Arbeitsweise, die von den Mitarbeitern verinnerlicht ist. Das Thema musste also nicht erst während des Projektverlaufs implementiert werden. Im Sinne der Partizipation bewährt sich, dass St. Anna so demokratisch wie möglich geführt wird – so ist die Mitarbeitervertretung immer zur Leitungskonferenz mit eingeladen und in wichtige Entscheidungen werden die Mitarbeiter miteinbezogen. Konzeptionelle Veränderungen, Neukonzipierungen oder bauliche Veränderungen werden partizipativ unter Mitbeteiligung der verschiedenen Ebenen (Mitarbeiter, MAV, Leitung, ggf. Kinder/Jugendliche) entwickelt. Da wo Mitarbeiter mitsprechen können fällt es ihnen auch leichter die Kinder und Jugendlichen in den Wohngruppen bei Entscheidungen miteinzubeziehen.

Partizipation ist in St. Anna nicht explizit „festgeschrieben“. Das bedeutet, dass es keine eigene Konzeption für das Thema gibt und auch keine Jugend

gendsprecher oder Vertrauenspersonen gewählt sind. Die festgeschriebenen Konzeptionen zu den Themen „Umgang mit Gewalt“, „Umgang mit Sucht“ und „Sexualpädagogik“ entstanden schon vor einigen Jahren in Arbeitskreisen mit der Beteiligung von Mitarbeitern aus allen Gruppen und der Schule. Darin ist Partizipation jeweils als wichtiger Erfolgsfaktor verankert. Parallel zum Projekt machte sich St. Anna auf den Weg, alle pädagogischen Mitarbeiter im Bereich Traumapädagogik zu schulen. Um eine Erzieherin aus einer Außenwohngruppe zu zitieren: „… da sieht man, dass ohne Partizipation die Traumapädagogik nicht funktioniert! ...“ Das Thema hat also eine große Präsenz und wird von den pädagogischen Mitarbeitern als wichtiger Erfolgsfaktor benannt.

Partizipation ist in St. Anna also kein Fremdwort. Trotzdem lohnte es sich im Rahmen des Projekts genauer hinzuschauen und die partizipatorischen Ansätze der Einrichtung zusammenzutragen und zu beleuchten.

Arbeitskreis Partizipation: Jugendliche und Mitarbeiter gemeinsam

So wurde das Projekt im Rahmen der Erzieher- und der Leitungskonferenz besprochen und die Idee eines Arbeitskreises, der sich mit dem Thema konkreter beschäftigt, entstand. In der Runde aus Leitung und Abgesandten der verschiedenen Gruppen wurde schnell deutlich, dass auch die Jugendlichen miteinbezogen werden sollen. So wurde eine Auftaktveranstaltung geplant, zu der jeweils zwei interessierte Kinder und Jugendliche aus allen Wohn- und Tagesgruppen eingeladen wurden, sowie Mitarbeiter der Wohngruppen und eine Vertreterin vom Pädagogisch-Psychologischen Fachdienst. Auch waren der Gesamtleiter und beide Bereichsleiter anwesend. Aufhänger dieser Veranstaltung war die Präsentation von Ergebnissen einer Umfrage. Im Jahr zuvor wurden sämtliche Kinder und Jugendliche darüber befragt, in welchen Bereichen ihres Lebens in St. Anna sie bereits mitbestimmen können und auch darüber, wo sie sich mehr Mitsprache wünschen würden. Zudem wurden sie gefragt, ob sie wissen, bei wem sie sich beschweren können.

Über die Methode „Marktplatz“ wurden die Kinder dann in 4 Gruppen eingeteilt, die jeweils an Plakatwänden mit den Umfrageergebnissen diskutierten und vervollständigten. Jeweils ein Erwachsener stand bereit um zu dokumentieren und – falls nötig- die Diskussionen zu moderieren. Die Ergebnisse wurden dann in der großen Runde jeweils von einem Sprecher vorgestellt. Die Kinder nutzten die Gelegenheit zum lebendigen gruppenübergreifenden Austausch. Zur weiteren Bearbeitung der Ergebnisse (Sortieren, Vervollständigen, Weitertransportieren in die Wohngruppen) wurden die interessierten Jugendlichen zu einem regelmäßigen, gruppenübergreifenden, Arbeitskreis eingeladen – mehr dazu im „good practice“ Beispiel! Etwa zur gleichen Zeit bekamen alle Gruppen Besuch des Bereichsleiters, der allen Kindern und Jugendlichen den Beschwerdeweg in St. Anna erklärte. Seitdem hängt der Beschwerdeweg als Plakat in den Gruppen gut sichtbar aus und kann regelmäßig mit den Kindern und Jugendlichen thematisiert werden.

Bewusstes Hinschauen und hervorheben der Besonderheiten

Das Projekt führte in St. Anna zu einem bewussteren Hinschauen in den Teams und auf der Leitungsebene. Sei es in den Gruppenleiterkonferenzen, Erzieherkonferenzen, Bereichskonferenzen oder in der Leitungskonferenz: das Thema hat einen festen Platz und taucht bei den unterschiedlichsten Fragestellungen immer wieder auf. Mehr als vor Beginn des Projekts wird gefragt: Wo und wann müssen wir die Jugendlichen miteinbeziehen? Zudem entstand durch das Projekt auch ein größeres Bewusstsein dafür, wo Partizipation bereits stattfindet und gut gelingt in St. Anna. Eine Besonderheit in St. Anna ist, dass jede Gruppe ihr eigenes Profil hat und die Partizipation unterschiedlich ausgestaltet. Von der täglichen Reflektionsrunde, über wöchentliche Gruppenabende, bis hin zu einer gemeinsamen Klausur von Kindern und Mitarbeitern ist alles zu finden.

Um kurz vor Abschluss des Projekts zu überprüfen inwieweit das Thema auch tatsächlich im Alltag der Gruppen präsent ist und gelebt wird,

wurde im November 2016 eine Konferenz vom AK Partizipation mit Vertretern aller Gruppen, der Schule und der Leitung einberufen um folgende Fragestellungen zu besprechen:

  • //Hat sich im Team/Bereich im Bezug auf Partizipation seit Beginn des
    Projekts etwas verändert? Wenn ja, was?
  • //Hat sich die Einstellung/Haltung der Mitarbeiter zur Mitbestimmung
    unserer Kinder etwas verändert?
  • //Sind neue Beteiligungsformen dazugekommen?
  • //Was ist uns nicht gelungen / haben wir noch nicht aufgegriffen?
  • //Gibt es Ideen, wie wir das Thema gelebte Beteiligung weiterhin pflegen
    und ggf. intensivieren können?

Rückmeldung, Fazit, Ausblick

Es gab einige Rückmeldungen, dass die Mitbestimmung im Gruppenalltag präsenter geworden ist: Kinder und Jugendliche werden selbstverständlicher zu Entscheidungen mit herangezogen als zuvor. Teambeschlüsse werden kaum noch ohne die Meinung der Kinder gemacht. In mehreren Gruppen wird versucht die Teamberatungen und die täglichen Übergaben transparent für Jugendliche zu gestalten. Auch in Gruppen mit jüngeren Kindern wird vermehrt versucht die Partizipation in den Alltag einzubauen, „so dass sie nichts Aufgesetztes oder Besonderes mehr ist“. Und eines ist den Kindern auch klar geworden:

„Partizipation ist kein Wunschkonzert, sondern bedeutet Dinge miteinander auszuhandeln.“

„Partizipation braucht Zeit!“

– dies ist den Beteiligten bewusst und wird in den Gruppen in Kauf genommen: es dauert natürlich länger wenn die Jugendlichen in Entscheidungen miteingebunden werden – die Ergebnisse finden dann aber viel mehr Zuspruch.

„Jugendliche die Mitsprechen sind mit mehr Motivation bei der Sache!“

Bei den Gruppen mit älteren Jugendlichen und auf der Gruppe mit unbegleiteten Flüchtlingen steht nicht so sehr das Erziehen im Vordergrund, sondern eher das Begleiten:

„Partizipation ist daher unumgänglich.“

Während der Projektphase wurde auch klar, dass es für viele Jugendliche zwar wichtig ist bei den eigenen Belangen (Gruppenregeln, Zukunftsplanung) mitzusprechen, dass sie sich aber weniger mit der Gemeinschaft des Kinderheims identifizieren und daher an gruppenübergreifenden Themen (Willkommensflyer) weniger Interesse haben. Auch in der Schule gibt es neben der „klassischen“ Mitbestimmung wie SMV oder Klassensprecher mittlerweile neue Wege der Mitsprache. So werden bei Projekttagen die Vorschläge der Schüler miteinbezogen und es gibt in manchen Klassen die Möglichkeit zur Notenfindung zwischen Klassenarbeiten und Referaten zu wählen. Das Fazit einer Lehrerin lautet:

„Partizipation bedeutet: Kinder und Jugendliche werden ernst genommen.“

Auch nach Ende des Projekts – so sind sich die Beteiligten in St. Anna einig – wird der Arbeitskreis Partizipation weitergeführt. Denn es hat sich bewährt, dass jemand immer wieder auf das Thema achtet und daran erinnert – auch ein Fazit aus dem Projektverlauf. Ab Februar geht es um das Thema „Mitbestimmung im Hilfeplanprozess“ gemeinsam mit Kindern/Jugendlichen aus allen Gruppen.

Sämtliche Zitate stammen von Mitarbeitern/-innen aus der Stiftung St. Anna.

„Good Practise“

Beispiel: Erarbeiten eines Begrüßungsflyers für neue Kinder und Jugendliche in der Stiftung St. Anna, Leutkirch

Zum Start des Projekts „Partizipation als Chance unserer Pädagogik“ wurde eine Umfrage unter allen Kindern und Jugendlichen in St. Anna (aus dem Jahr 2013) als Grundlage hergenommen um miteinander ins Gespräch zu kommen. Damals wurde abgefragt in welchen Bereichen ihres Lebens in St. Anna sich die Kinder und Jugendlichen der stationären und ambulanten Wohngruppen aktiv beteiligen können.


Um die Ergebnisse zu bearbeiten und auszuwerten wurde ein Arbeitskreis ins Leben gerufen an dem Jugendliche aus allen Gruppen beteiligt waren. Sie sortierten und vervollständigten die Ergebnisse und kamen miteinander ins Gespräch. Sie führten einen regen Austausch über Unterschiede und Gemeinsamkeiten, wie Partizipation in den verschiedenen Wohngruppen gelebt wird und wurden so für das Thema sensibilisiert.

Nachdem die „Beteiligungslisten“ fertig gestellt und in den verschiedenen Gruppen vorgestellt waren, entstand der Wunsch nach einem konkreten Beteiligungsprojekt. Die Anregung für das Projekt „Begrüßungsflyer für neue Kinder und Jugendliche“ stammt aus einem der Multiplikatorentreffen im Rahmen des Projektverlaufs und wurde von den Jugendlichen gerne aufgegriffen. In einer Gruppenleiterkonferenz wurden die Meinungen aus den einzelnen Wohngruppen abgefragt und das Projekt „Willkommens-Flyer“ schließlich abgesegnet. Mit Beginn des Schuljahres 2015/2016 versammelten sich etwa 10 Jugendliche aus verschiedenen stationären und ambulanten Wohngruppen im „AK Partizipation“ und überlegten gemeinsam welche Inhalte so ein Willkommensflyer abdecken sollte. Im Laufe von mehreren Treffen, die alle zwei bis vier Wochen stattfanden, konkretisierte eine mittlerweile geschrumpfte Gruppe (4 Jugendliche, 2 Erwachsene) das Projekt: Die Grundidee war, Kindern und Jugendlichen, die neu ein St. Anna ankommen, einen einfach gehaltenen Überblick über die Einrichtung zu geben. So sollte der Flyer Kinder und Jugendliche jeden Alters ansprechen. Den Jugendlichen war ein einladender, freundlicher und einfach verständlicher Text wichtig. Es sollten keine Regeln darin formuliert werden. Auch der in St. Anna etablierte Beschwerdeweg sollte nicht thematisiert werden. Den Jugendlichen war es wichtig ein positives Bild von der Einrichtung zu vermitteln. Dazu sollten die wichtigen Personen der Einrichtung genannt werden. Zudem wollten die Jugendlichen mit dem Flyer eine Übersicht über die verschiedenen Wohngruppen und anderen Angebote von St. Anna bieten.

Nachdem die Form bestimmt wurde (klassisches DinA 4 Flyer-Format, beidseitig bedruckt, mit insgesamt sechs Textfeldern) ging es an die inhaltliche Ausgestaltung. Anhand eines Graphikprogramms wurden direkt am Computer die Textbausteine erstellt und den einzelnen Textfeldern zugeordnet. Parallel wurde gemeinsam überlegt welche Bildmotive gebraucht werden und wer die Fotos konkret macht. Aus Gründen des Datenschutzes wurde sich gegen die Darstellung einzelner Kinder und Jugendlicher entschieden. Stattdessen wurden Bilder von wichtigen Orten geknipst (Spielplatz, Schule, Sportplatz,…) und passend platziert. Ein zentrales Bild stellt die wichtigen Personen von St. Anna vor: Gesamtleiter, Bereichsleiter, Vertrauenslehrer, etc. Zuletzt wurde über die Farbgestaltung und das Layout diskutiert und miteinander festgelegt.

Parallel zu diesem Prozess wurde auch die Fahrt zum Caritas Jugendforum in Fichtenau geplant. Die Jugendlichen nahmen das Projekt zum Anlass um einen Workshop beim Jugendforum anzubieten. Sie nannten ihn „Wie heißen wir neue Kinder und Jugendliche im Kinderheim willkommen?“ und stellten unter anderem die Arbeit am Flyer Jugendlichen aus anderen Einrichtungen vor. Als Überraschung gab unser Gesamtleiter den Flyer bei einer Druckerei in Auftrag mit einem qualitativ sehr hochwertigen Ergebnis. In St. Anna selbst stellten die Jugendlichen den fertig gedruckten Flyer beim Grillfest am letzten Schultag vor den Sommerferien vor. Zu diesem Anlass werden immer sämtliche Gruppen und alle Eltern eingeladen – ein Forum also mit größtmöglichem Publikum. Die Projektteilnehmer ernteten jede Menge Lob und Dank und waren sichtlich stolz auf die geleistete Arbeit.

Sarah Rappold
Multiplikatorin für das Projekt „Partizipation als Chance unserer Pädagogik“ in der Stiftung St. Anna