Partizipation als Chance
unserer Pädagogik

Einrichtung

St. Josef gGmbH Stuttgart

Von der Ampel der Kinderrechte, über Möglichkeiten und Herausforderungen, bis zur Zusammenführung aller Bereiche in unserer dezentralen Einrichtung.


Partizipation in einer dezentralen Einrichtung

Wir, die St. Josef gGmbh, sind Schwerpunktträger der Jugendhilfe im Stuttgarter Osten, sowie in Teilen Bad Cannstatts. Wir decken ein breites Spektrum von ambulanten über teilstationären bis zu vollstationären Hilfen zur Erziehung ab. Darüber hinaus sind wir ein großer Kita- und Schülerhort Träger für Kinder zwischen 1-14 Jahren mit ca. 780 Plätzen.

Der stationäre Bereich zeichnet sich durch seine dezentrale Struktur aus, die sich nach und nach entwickelt hat, gleichzeitig auch so gewollt ist. Wir können dadurch eine lebens- und sozialraumorientierte Hilfe anbieten, durch die Kinder und Jugendlichen so wenig wie möglich aus ihrem sozialen Gefüge herausgerissen werden. So erhöhen sich die Chancen einer erfolgreichen Rückführung in die Herkunftsfamilie. Diese Gegebenheiten sind für eine gelingende Partizipation Chance und Herausforderung zugleich.

Zum einen ist die Partizipation von Hilfeempfängern für gelingende Hilfen eine konzeptionell und strukturell wichtige Voraussetzung. Zum anderen erschwert die große Diversität der Einrichtung die Implementierung einheitlicher Standards und erfordert Abstimmungsprozesse, die langwierig sein können.

So haben wir derzeit 12 Wohngruppen mit unterschiedlichen Konzeptionen, z.B. eine Innenwohngruppe im Haupthaus, eine familienähnliche Gruppe mit Betreuerehepaar, eine Mädchen- und eine Jungenwohngruppe, mehrere gemischtgeschlechtliche Gruppen, sowie Wohngruppen für „Unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge. (UMF) Dazu kommen 4 Verselbständigungsgruppen, „Betreutes Jugendwohnen“, sowie eine kürzlich eröffnete teilstationäre Gruppe. Jede Wohngruppe hat ihr jeweils spezifisches Profil, welches sich im Laufe ihrer Geschichte und in Wechselwirkung zwischen Sozialraum und Lebenswirklichkeit, sowie im Zusammenspiel zwischen zu Betreuenden, Betreuern und Leitung entwickelt hat.

Auch im Ambulanten Bereich ist das Thema Partizipation von großer Bedeutung, so dass wir uns stets die Frage stellen, welche partizipatorischen Elemente sich im ambulanten Bereich umsetzen lassen.

Abschlussbericht

Der AK Partizipation als Qualitätssicherungsinstrument

Bereits vor der Teilnahme unserer Einrichtung am Projekt „Partizipation als Chance unserer Pädagogik“, bestand seit 2011 ein „Arbeitskreis Partizipation“, der sich mehrmals im Jahr traf. Dieser setzte sich aus 4-5 Wohngruppenmitarbeitern zusammen, stimmte sich mit der „Hilfen zur Erziehung“ Leitungsebene ab und involvierte diese bei wichtigen Entscheidungen.


Vorgeschichte

Ein Ergebnis des AK war eine Veranstaltung für alle Wohngruppenmitarbeiter, in der gemeinsam erarbeitet wurde, welche Stufen der Partizipation im Wohngruppenalltag umgesetzt werden können, welche Stufen bei welchen Themen bereits erreicht wurden, und wo weitere Elemente von Partizipation eingeführt werden könnten. In diesem AK wurde unter Anderem bereits ein Konzept einer „Josi Konferenz“ erarbeitet.



Der Arbeitskreis in der Projektphase

Im Zuge der Teilnahme unserer Einrichtung am Projekt „Partizipation als Chance unserer Pädagogik“, ging es darum, ein Beteiligungs- und Beschwerdesystem zu implementieren, welches zunächst aus Briefkästen in den Wohngruppen bestand. Die Kinder und Jugendlichen wurden ermutigt, diese für Lob und Kritik zu nutzen, es wurden Betreuer ausgewählt, die über den Schlüssel verfügen und die Verantwortung dafür tragen, dass die Anliegen der Kinder und Jugendlichen vertrauensvoll bearbeitet werden. Ein weiteres, wichtiges Projekt war die Einführung eines Ampelsystems in den Wohngruppen, welches im nächsten Abschnitt beschrieben wird.

Der aktuelle AK trifft sich im Schnitt alle 8 Wochen, meist ist die für Partizipation verantwortliche Leitungskraft anwesend. (In der Mitte des Projektes wechselte die Zuständigkeit für den AK von der Hilfen zur Erziehung - Gesamtleitung zu einer Fachbereichsleitung, die den Arbeitskreis enger begleiten konnte.)

Im Laufe der Zeit wurde deutlich, dass die Wohngruppen, deren Mitarbeiter nicht im AK vertreten sind, schwerer für die Themen der Partizipation zu erreichen sind. Hinzu kam, dass der Träger seine stationären Platzzahlen im letzten Projektjahr von 67 auf 102 Plätze erhöhte. Aufgrund der Neueröffnungen in dezentraler Struktur, Personalfluktuation und neuer Konzepte (4 neue Wohngruppen für UMF,) führte dies zu einer Verlangsamung des Prozesses. Die neuen Gruppen und Mitarbeiter mussten mit eingebunden werden und der AK wurde für alle Wohngruppen geöffnet. Seitdem findet ein reger und lebendiger Austausch zum Thema Partizipation statt. Die Wohngruppen sind früher und direkter beteiligt, bringen ihre partizipatorischen Themen und Ressourcen direkt ein und verhelfen so dem gesamten Thema zu einer weitaus größeren Bedeutung, Tiefe und damit Nachhaltigkeit.

Daran zeigt sich, dass Partizipation nur dann nachhaltig gelingen kann, wenn die Mitarbeiter gerade bei diesem Thema von Anfang an miteinbezogen sind, mitentscheiden und gestalten können. Der Schritt der Erweiterung des AK kann als wichtige Voraussetzung zur Etablierung einer einrichtungsweiten Partizipationskultur gesehen werden. (Partizipation der Mitarbeiter = Partizipation der Kinder)

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass sich der AK zu dem zentralen partizipatorischen Steuerungsinstrument entwickelt hat, das angesichts unserer dezentralen Struktur geeignet ist, die Beteiligten zu erreichen und mitzunehmen. In der Vergangenheit bestand häufig die Schwierigkeit, dass schön ausgedachte Projekte von den Wohngruppen nur unzureichend umgesetzt wurden, da die betroffenen Mitarbeiter das Projekt nicht unbedingt als das ihrige ansahen. Schon frühzeitig kam im AK der Einwand zum Tragen, Partizipation für Kinder- und Jugendliche können nur dann gut funktionieren, wenn auch die Mitarbeiter sich beteiligt fühlen, dem trägt die oben geschilderte Erweiterung des AK Rechnung. Ebenso wird trägerweit das bestehende Beschwerdeverfahren für Mitarbeitende unter Einbeziehung der MAV, Mitarbeiter und Leitungsebene überprüft und festgeschrieben. Der Abschluss hierbei steht noch aus. Die Erarbeitung des Beschwerdeverfahrens für Kinder- und Jugendliche wird parallel im AK diskutiert.

Abschlussbericht

Die Ampel

Die Einführung der Ampel ist die erste sichtbare Folge des Projektes. In jeder Wohngruppe und Dienststelle sollte für alle sichtbar ein Plakat hängen, auf dem vor allem für die Bewohner und Besucher klar ersichtlich ist, welche Werte und Rechte uns wichtig sind.


Idee dahinter: Die Ampel ist ein Teil des Beschwerde- und Schutzkonzeptes für die Bewohner der Wohngruppen. Es ist klar ersichtlich was die Rechte und die Pflichten der Kinder und Jugendlichen sind, ebenso ist klar definiert, was die Betreuer dürfen, z.B. um die Regeln durchzusetzen, und was nicht.

Die Ampel soll die Botschaft aussenden: „In dieser Wohngruppe hat jeder universelle Rechte, die von keinem beschnitten werden, und uns ist wichtig, dass jeder weiß welche dies sind.“

Im Sinne der Gleichbehandlung und Begegnung auf Augenhöhe, der gegenseitigen Achtung, gelten die gemeinsam erarbeiten Regeln und



Ampel

Plichten für Erwachsene und Kinder/ Jugendliche auf der Gruppe gleichermaßen. Die Betreuer müssen sich genauso daran halten wie die Kinder und Jugendlichen. Dies ist durchaus ein Paradigmenwechsel zur klassischen, helfenden Haltung:

„Wir sind die Betreuer, wir machen die Regeln, weil wir wissen was für dich gut ist.“



Umsetzung

Der Partizipationsbeauftragte hatte die Aufgabe, in die Teams zu gehen, den Sinn und die Funktion der Ampel zu erklären, sowie Hilfestellung zu geben, wie sie in den Gruppen/ Teams mit ihren jeweils unterschiedlichen Profilen am besten realisiert werden kann. Der Inhalt der Ampel wurde in den Gruppenabenden gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen erarbeitet. Die Bewohner wurden gefragt, was aus ihrer Sicht Betreuer dürfen und was nicht. Erstaunlicherweise fiel es den Älteren schwerer sich auf die Aufgabe einzulassen. Dass Betreuer übergriffig werden könnten, kam ihnen gar nicht in den Sinn. Es stellte sich als wichtig heraus, gerade darüber zu sprechen, da einige kein Bewusstheit dafür hatten, welches ihre universellen Persönlichkeitsrechte sind, wie sie diese schützen und durchsetzen können.

Bei den Jüngeren sprudelte es in der Gruppe des Partizipationsbeauftragten nur so heraus; vor allem Regeln des gemeinsamen Miteinanders und die Grenzachtung des jeweils Andern waren wichtige Themen. Bei der Frage „was darf dir keiner antun, auch Betreuer nicht“, taten auch sie sich schwer, da dies außerhalb ihrer Vorstellungskraft lag, dennoch konnten sie sich gut vorstellen, dass nicht immer alle Erwachsenen stets in guter Absicht handeln. Als die Ampel dann in der Wohngruppe hing, konnten sich vor allem die Jüngeren sehr gut damit identifizieren, da es in großen Teilen ihr Werk war.

In den Wohngruppen mit älteren Jugendlichen gestaltete sich die Umsetzung insgesamt etwas schwieriger, da dieses Thema aus ihrer Sicht eher etwas für jüngere Kinder sei. Dementsprechend war die Identifikation mit der Ampel geringer, teilweise wurde sie auch mutwillig beschädigt. In einer Dienststelle wurde das Ampelsystem eingeführt und hängt für alle sichtbar im Flurbereich. Der Erfolg ist hier, dass immer wieder ein interessierter Austausch mit Betreuten und Besuchern stattfindet, die „über die Ampel stolpern“. Aufgrund des oben beschriebenen schnellen Wachstums der Einrichtung auf allen Ebenen ist die Ampel noch nicht in allen Wohngruppen realisiert, oder sie überstand die strukturellen Umbrüche in manchen Wohngruppen nicht. Für die Zukunft machen wir uns Gedanken, wie die Ampel für ältere Jugendliche modifiziert werden kann, so dass sie besser in die Lebenswelt der Jugendlichen passt. Eine weitere Herausforderung besteht zukünftig darin, die Ampel für die Arbeit mit geflüchteten Jugendlichen zu modifizieren und einzuführen.

Insgesamt konnten sehr wichtige Erkenntnisse gewonnen werden, unter welchen Bedingungen eine Ampel in einer Wohngruppe funktionieren kann. Diese gilt es unter Einbezug aller Betroffenen für alle Wohngruppen zu schaffen.

Abschlussbericht

Gemeinsame Veranstaltungen

Bereits seit vielen Jahren finden gruppenübergreifende Skifreizeiten statt. Zu Projektbeginn gab es einzelne dezentrale Veranstaltungen bspw. ein Tischtennisturnier.


Vorüberlegungen

Mit dem Ziel, ein „Josi- wir-Gefühl“ zu fördern, den Kindern die Möglichkeit zu geben, sich auszutauschen und, als Fernziel, sich für die Vertretung gemeinsamer Wünsche und Beschwerden organisieren zu können, schlugen wir die Durchführung einer Veranstaltung für alle Wohngruppenbewohner in unserem Haupthaus vor. Wir ließen die Kinder und Jugendlichen befragen, was sie sich wünschten, es artikulierte sich der Wunsch nach einem Kinoabend heraus.



Umsetzung

Zum Kinoabend kamen dann vor allem Kinder und Jugendlichen von Gruppen, deren Betreuer sich schon seit einiger Zeit im AK Partizipation engagieren (als Konsequenz unter anderem darauf folgte die Erweiterung AK). Es kam zu einem harmonischen Beisammensein, bei dem sich die Kinder und Jugendlichen, aus unterschiedlichen Gruppen miteinander austauschten und eine gute gemeinsame Zeit hatten. Ermuntert durch die positive Resonanz, kam von Leitungsseite der Impuls, ein Bereichssommerfest

zu organisieren, was der AK umsetzte. Es wurde ein gemeinsames Buffet zusammengesellt, gegrillt, Beiträge vorbereitet und es bestand die Möglichkeit, auf unterschiedliche Weise spielerisch und musikalisch zusammen zu kommen, was Groß und Klein viel Freude bereitet hat. In Kürze findet unser 2. Kinoabend statt, wir hoffen auf eine große Beteiligung.

Abschlussbericht

Die Befragung der Gruppen, Kinder und Jugendlichen

Um zu erfahren, wie weit unsere Einrichtung auf dem Weg der Beteiligung gekommen ist, und um zu sammeln, welche noch nicht entdeckten partizipatorischen Elemente in den Gruppen schlummern, haben wir allen Gruppen einen Fragenkatalog geschickt. Die Antworten wurden in unserer Gruppenleiterrunde gesammelt. Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse aus den verschiedenen Wohngruppenvorgestellt:


Frage 1: Wie sind die Erfahrungen zum Thema Partizipation? Wie die Rückmeldungen der Kinder und Jugendlichen?

  • //Die Jugendlichen fühlen sich besser verstanden und angenommen, als Folge steigert sich ihr Selbstwert durch die Erfahrung von Selbstwirksamkeit
  • //BewohnerInnen lernen ihre Bedürfnisse zu verbalisieren, sie haben ein Übungsfeld, um ihre Begabungen zu erkennen und zu entwickeln.
  • //Es herrscht eine größere Offenheit im alltäglichen Umgang, es entwickelt sich eine Beziehung auf Augenhöhe.
  • //Partizipation ist gelebte Alltagskultur
  • //Partizipation ist anstrengend, viele Meinungen, längere Entscheidungsprozesse
  • //Dank Partizipation können die Kinder aus ihrer „Meckerecke“ herausgeholt werden, da sie aktiv mitentscheiden und gestalten können
  • //Kinder stehen jetzt mehr für ihre Rechte ein
  • //Von Kindern gemachte Regeln werden besser eingehalten und sind teilweise restriktiver, als wenn die Betreuer sie gemacht hätten.
  • //Anfangs ist Partizipation ein großer Aufwand, doch der Ertrag ist um ein vielfaches höher.


Frage 2: Welchen Stellenwert hat Partizipation im Wohngruppenalltag? Wo wird sie gelebt?

  • //Kinder können über Briefkasten Anträge an das Team schreiben
  • //Die Älteren haben ein selbstverwaltetes Freizeitbudget als Gruppe
  • //Die Älteren dürfen ihren Urlaub selber planen
  • //Gestaltung von Gruppenräumen, Wände gestalten, Inventar aussuchen
  • //Teilnahme im Team bei wichtigen Anliegen für Jugendliche möglich
  • //Bei Einstellung von neuen Mitarbeitern, werden die Bewohner nach ihren Meinungen/Eindrücken befragt
  • //Bei Neuaufnahme bekommt jedes Kind, das Kinderrechteheft, der Inhalt wird dem Kind erläutert, Kinderrechte werden immer wieder
    im Gruppenabend thematisiert.


Frage 3: Wie laufen die Gruppenabende ab? Welche partizipatorischen Elemente sind enthalten?

  • //Es wird mit einer Befindlichkeitsrunde gestartet. Themen werden im Vorfeld und zu Beginn gesammelt, diese werden auf Kärtchen geschrieben und dann immer einzeln aufgedeckt und besprochen. Das Protokoll wird von den Jugendlichen geschrieben.
  • //Moderation und Protokoll übernehmen Kinder und Jugendlichen je nach Thema unterschiedliche Stufen der Partizipation.
Abschlussbericht

Resümee/Ausblick

Das Projekt „Partizipation als Chance unserer Pädagogik“ hat sich auf struktureller und kultureller Ebene als Bereicherung und gleichzeitig tägliche Verpflichtung und Herausforderung für unsere Einrichtung und der in ihr lebenden und arbeitenden Menschen erwiesen.


Wie ein ins Wasser geworfener Stein entwickelte es in Teilen eine faszinierende Eigendynamik, an anderer Stelle tauchten auch Hindernisse auf, die die Wellen an bestimmten Stellen brechen ließen, aber das Wasser hatte bereits genug Dynamik und bahnte sich dann eben unvorhergesehene Wege. Wir werden den AK Partizipation auch nach Projektende in der Einrichtung weiterführen. Viele Themen sind in Arbeit gekommen, bedürfen noch der Umsetzung und Weiterführung, insbesondere in den neuen Gruppen. Die Themen für die Zukunft werden mit Jahreszielen im Arbeitskreis erarbeitet.

Themen die uns im Arbeitskreis noch beschäftigen werden sind u.a. die Vertiefung des Beschwerdemanagements/ Ombudschaft, Begrüßungskultur, Erweiterung/Vertiefung der Ampel, Partizipation von UMF, Partizipation im ambulanten Bereich, Teilhabe und moderne Medien, sowie der Festschreibung unseres Partizipationskonzepts.



Gabriel Mentor
(Multiplikator)