Partizipation als Chance
unserer Pädagogik

Resümee und Ausblick

„Partizipation als Chance unserer Pädagogik“

Partizipation als gelebte Alltagskultur zu entwickeln und zu fördern, war eines der Hauptziele des Projektes. Während des Projektverlaufes und zum Abschluss des Projektes wurden die Einrichtungen befragt, welche Entwicklungen es hinsichtlich ihrer Einrichtungskultur im Projektverlauf gab. Aus den Rückmeldungen der Multiplikatoren lässt sich exemplarisch gut darstellen, wie vielfältig die Partizipationsprozesse in den Einrichtungen wirken:


Auf der Einrichtungsebene

Dort hat Partizipation einen (noch) höheren Stellenwert bekommen. Durch die Sensibilisierung der Einrichtungsleitungen und der Mitarbeitenden liegt das Thema jetzt „oben“ und der Fokus auf Beteiligung innerhalb der Einrichtung ist geschärft worden. Im Besprechungswesen ist Partizipation zu einem festen Bestandteil geworden. Die internen Prozesse werden mit der „Partizipationsbrille“ betrachtet und bereits bestehende Strukturen konnten sichtbar und partizipativer werden.

„Ich habe es so erlebt, dass die Bereiche (egal, ob LT, MA oder Kids) sensibler geworden sind und den Bereich der Partizipation mehr in ihren Blick nehmen bzw. es als ihre Aufgabe betrachten, manche Strukturen o.ä. zu überprüfen. Ebenso wurden manche Bereiche in ihrer bisherigen Umsetzung der Partizipation gestärkt /bestätigt.“ – Pädagogische Leiterin einer Einrichtung

Die einzelnen Bereiche und Angebote der Einrichtungen konnten besser vernetzt werden. Der Blick ist auf gemeinsame Einrichtungsprozesse gerichtet – gerade auch bei sehr dezentral aufgestellten Einrichtungen. Es zeigte sich eine kooperativere Haltung und Zusammenarbeit der verschiedenen Einrichtungsebenen und Bereiche. Der Informationsfluss und der kollegiale Austausch haben sich verbessert. Durch gemeinsame und dialogisch gestaltete Prozesse konnten neue Erfahrungen miteinander gemacht werden. Man lernte sich von der Einrichtungsleitung über die Mitarbeitenden bis zu den Kindern und Jugendlichen und deren Eltern besser kennen. Dabei konnten auch bestehende Berührungsängste herabgesetzt werden. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist der Prozess „Willkommenskultur“, an dem alle Einrichtungsebenen involviert waren und sich im Prozess austauschten und besser kennenlernten.

Bei Einrichtungsthemen wurde mehr an die Kinder und Jugendlichen gedacht, ihre Meinung wurde bedeutsamer und sie wurden bei Entscheidungsprozessen mehr involviert. In alltäglichen Situationen wurde die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen bewusster eingefordert. Der Blick auf Gelingendes wurde gestärkt und für erkannte „Stolpersteine“ konnten alternative Wege gegangen werden.

„Manchmal setzt man sich schon auch unter Druck, wenn ein Thema so im Mittelpunkt steht, will den ganz großen Wurf und übersieht die gelingenden kleinen Dinge im Alltag schnell mal. Mir ist aber nochmal ganz bewusst geworden, dass das Thema Partizipation im Alltag kein Selbstläufer ist. Es braucht Menschen, die sich kontinuierlich und beständig um das Thema kümmern und es (in der Hektik des Alltags) oben halten. Und da hilft es, die kleinen Erfolge sichtbar zu machen.“ – Partizipationsbeauftragter einer Einrichtung

Durch die erarbeiteten Strukturen und die Gremien haben Beteiligung und Beschwerde einen festen Platz in den Einrichtungen bekommen und sind damit für die Kinder und Jugendlichen sichtbarer und einforderbarer geworden. Mit den Vertrauenspersonen und den Partizipationsbeauftragten haben die Kinder und Jugendlichen konkrete Ansprechpersonen in den Einrichtungen, die sich um ihre Anliegen kümmern.

Auf der Ebene der Mitarbeitenden

Bei den Mitarbeitenden fand eine intensivere Auseinandersetzung über Beteiligungsmöglichkeiten und Beteiligungsformen für Kinder, Jugendliche und deren Eltern statt. In diesem Zusammenhang wurden auch die Beteiligungsmöglichkeiten der Mitarbeitenden in den Einrichtungen thematisiert. Dabei wurden mehr eigene Beteiligungsfelder entdeckt und mehr eigene Beteiligung eingefordert. Die Auseinandersetzung führte auch zu der Erkenntnis, dass Beteiligung nicht mit Bestimmen gleichzusetzen ist, sondern dass es differenzierte Formen der Beteiligung gibt. Das setzte eine anfängliche Skepsis bei manchen Mitarbeitenden herab. Die Erkenntnis, dass Beteiligung im Alltag bereits praktiziert wurde, motivierte die Mitarbeitenden, sich jetzt noch bewusster mit dem Thema zu befassen und die Beteiligungsmöglichkeiten für die Kinder und Jugendlichen sichtbarer werden zu lassen.

„Durch das Thema Partizipation, haben wir nochmal grundsätzlich unser Handeln und unsere Struktur überprüft und denken mehr darüber nach, wie Regeln und Abläufe auf die Kinder und Jugendlichen wirken.“ – Mitarbeiterin einer Wohngruppe

Der Zuwachs an Wissen über die Kinderrechte förderte einen sichereren und mutigeren Umgang mit dem Thema Partizipation. Es entstanden intensivere Diskussionen über die Möglichkeiten und die „Auswirkungen“ partizipativer Prozesse.

„Mir sind durch das Projekt die Partizipationsstufen nochmal ganz bewusst geworden. Das empfinde ich als hilfreich in meiner Arbeit mit den Klienten z.B. kann ich mit Eltern mit diesem Modell anschauen, wie und in welcher Form sie ihre Kinder mit einbeziehen." – Mitarbeiterin ambulante Erziehungshilfen

Die Sinnhaftigkeit einer partizipativen Pädagogik ist durch die im Projektverlauf gemachten Erfahrungen klarer geworden. Partizipation wurde von den Mitarbeitenden zunehmend als Erfolgsfaktor des eigenen Handelns erlebt. Dies führte zu einer bewussteren Entscheidung, partizipative Pädagogik als Haltung zu leben, obwohl sich viele Prozesse zeitaufwendiger gestalteten.

„Partizipation ist erst mal anstrengend, da Entscheidungsprozesse langwieriger und schwieriger sind, der Nutzen ist aber um ein vielfaches höher da so eine neue Qualität des Miteinanders erreicht wird, was sich in einer höheren Zufriedenheit aller zeigt.“ – Mitarbeiter einer Wohngruppe

Die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen wurde im Alltag aktiver eingefordert und gefördert. Die Mitarbeitenden erlebten, dass den Kindern und Jugendlichen die Entwicklung der Einrichtung wichtig ist. Den Kindern und Jugendlichen wurde mehr zugetraut und es konnte mehr Verantwortung übertragen werden. Partizipation wurde mehr als verbindendes Moment/Element wahrgenommen und die interne Vernetzung wuchs dabei.

„Seit das Thema Partizipation in unserer Einrichtung präsenter ist, sind die Kinder aktiver. Wir kommen viel mehr ins Gespräch mit den Kindern und haben so eine tragfähigere Beziehung zu den Kindern. Außerdem kann ich die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen zwischenzeitlich sogar als Entlastung sehen, da wir Erzieher nicht mehr so viel für die Kinder alleine entscheiden müssen, sondern die Kinder mehr in die Verantwortung genommen werden!“ – Gruppenleiterin einer Einrichtung

Auf der Ebene der Kinder und Jugendlichen

Bei den Kindern und Jugendlichen wurde das Thema Partizipation erst dann bekannter bzw. rückte mehr in den Fokus, nachdem die Erwachsenen sie mit Informationen versorgten und über ihre Rechte aufklärten. Besonders gut kamen bei den Kindern und Jugendlichen das gemeinsame Erforschen der Kinderrechte und das praktische Erarbeiten von Standards zu den Kinderrechten, z.B. bei einem Kinderschutzkonzept in Form einer „Ampel“, an.

„Auf der Kinderebene wächst erst jetzt nach und nach das Bewusstsein für die Kinderrechte, da wir monatlich in den Kinderkonferenzen über Kinderrechte und Partizipation nun sprechen mit Hilfe unserer Ampelsysteme. Die Gruppensprecher/innen sind meist fitter in den Kinderrechten. Es wird deutlich, dass das wiederholte Besprechen der Kinderrechte wichtig ist. So erst können die Kinder und Jugendlichen diese begreifen und diese dann auch einfordern.“ – Bereichsleiterin einer Einrichtung

„Ich weiß jetzt über meine Rechte Bescheid. Besonders das Recht auf Spielen finde ich super!“ – Junge einer Tagesgruppe

In den Gruppenbesprechungen und den Heimräten konnten die Kinder und Jugendlichen ihre Anliegen und Probleme zunehmend konkreter benennen und einbringen. Mit der Erfahrung, gehört zu werden, trauten sich die Kinder und Jugendlichen zunehmend mehr, ihre Meinung zu den Themen, die sie betreffen, zu äußern und ihre Standpunkte zu vertreten. Die Kinder wurden sicherer darin, unliebsame Dinge anzusprechen – gerade wenn es um Kritik oder eine Beschwerde ging. Die Diskussionen wurden dabei lebendiger, die Akzeptanz der gemeinsam getroffenen Entscheidungen höher. „Ich fühle mich hier mit meiner Meinung ernst genommen und akzeptiert.“ – Jugendliche einer Wohngruppe

"Wenn wir Kinder gefragt werden, führen Entscheidungen weniger zu blöden Gefühlen oder Streit."

"Man übt das Abstimmen, Demokratie...das finde ich toll!"
– Kinder einer Tagesgruppe

„Durch die veränderte Herangehensweise an die Planung unserer Projekte wurde unserem Team noch mal klar, dass das Mitsprache- und Mitgestaltungsrecht ein Gut ist, welches erst einmal geübt werden muss. Die Kinder verstanden "Mitsprache" oft als eine Art "Erfüllung von Wunschlisten"... nur langsam lernten sie, wie die Machbarkeit oft an äußeren / inneren Faktoren hängt. Für uns Erzieher ist der Austausch und das Mitentscheiden punktuell natürlich etwas anstrengender, aber auf jeden Fall lohnenswert.“ – Mitarbeiterin einer Tagesgruppe

„Von Kindern gemachte Regeln werden besser eingehalten, es gibt weniger Konflikte mit den Betreuern“ – Mitarbeiter einer Wohngruppe

Die Kinder und Jugendlichen gestalteten ihren Alltag aktiver. Es war ein Wandel von einer „Bedien- zu einer Mitmachkultur“ zu erkennen. Durch diesen „Imagewandel“ wurden die Kinder und Jugendlichen mehr mit ihren Stärken und Fähigkeiten wahrgenommen. Bei gemeinsamen Entscheidungsprozessen erlebten die Kinder und Jugendlichen ihre Selbstwirksamkeit und es wurde sichtbar, wie sie mit ihren Erfolgen wuchsen.

„Bei der Wahl der Vertrauenspersonen konnte ich eine Stimme abgeben und meine Vertrauensperson ist gewählt worden – das fand ich voll klasse.“ – Mädchen einer Wohngruppe

„Jugendliche die mitsprechen sind mit mehr Motivation bei der Sache!“ – Mitarbeiter einer Wohngruppe

Auf der anderen Seite wurde aber auch deutlich, dass Partizipation nicht alle Kinder und Jugendlichen gleichermaßen ansprach. Das führte speziell bei manchen Gruppensprechern zu Frust, wenn die Unterstützung anderer ausblieb bzw. bei den Anderen kein Interesse erkennbar war. Wichtig war den Kindern und Jugendlichen, dass die Prozesse nicht mehr Zeit als nötig beanspruchten und es zügig zu Ergebnissen kam. Schließlich „opferten“ sie ihre wertvolle Freizeit, wenn es um die Teilnahme an Gruppenbesprechungen, Heimräten, Kinderkonferenzen o.ä. ging. Mit der Übernahme von Verantwortung, beispielsweise für Ferienplanung oder das Freizeitbudget, zeigte sich ein zusätzlicher Motivationsschub bei den Kindern und Jugendlichen.

„Und dann sagte der Leiter, dass wir uns überlegen sollen, was wir im Jahr so an Freizeitaktionen machen wollen. Anfangs dachten wir oh ja cool voll die Party. Es gab ein Freizeitgeld und damit konnten wir planen, was wir machen wollen. Wir mussten uns auch mit den anderen (Jugendlichen von den Wohngruppen) absprechen, was die wollen. Das war ganz schön anstrengend. Wir waren dann im Europapark und haben sonst kleine Aktionen in der KiJu gemacht.“ – Gruppensprecherin und Heimrat einer Einrichtung

„Partizipation ist kein Wunschkonzert, sondern bedeutet Dinge miteinander auszuhandeln.“ – Mitarbeiterin einer Wohngruppe

Mit den sichtbaren Erfolgen wuchs das Selbstverständnis der Kinder und Jugendlichen, dass sie etwas in den Einrichtungen bewegen können.

Auf die Frage, welche Chancen und welchen Nutzen das Partizipationsprojekt für die Einrichtungen brachte, kamen exemplarisch diese Rückmeldungen:

„Unsere Einrichtungskultur wurde bereichert.“

„Wir machen jetzt ganz anders gruppenübergreifende Feste als davor (beteiligen die Kids viel mehr); dies hat auch Auswirkungen auf das Gefühl des Miteinander in der Einrichtung ( unter den Kids, aber auch unter den Mitarbeitern)“

„Einführung demokratischer Diskussionskultur und Entscheidungskultur“

„Der Arbeitskreis Partizipation hat sich gut entwickelt, bringt viel Gewinn / Nutzen auf allen Ebenen.“

„Der Austausch mit anderen Einrichtungen war eine große Bereicherung.“

„Selbstwirksamkeit für die Kinder und Jugendlichen“

„Die Kinderrechte sind präsenter; dies hat Wirkung auf die Kinder; sie fühlen sich ernst genommen, wertgeschätzt.“

„Neue Impulse für Pädagogen“

„Es stand Zeit zur Verfügung, die Strukturen und die Einrichtungskultur mit dem Fokus auf Partizipation zu überprüfen und weiterzuentwickeln.“

„Partizipation eröffnet den Kindern und Jugendlichen und den Mitarbeitenden die Chance, zu Gestaltern zu werden und somit ihre Spuren in den Einrichtungen zu hinterlassen.“

Ausblick – wir richten den Blick nach vorne!

Die Multiplikatoren haben mit den Erfahrungen aus dem Projektverlauf ein Positionspapier erarbeitet, in dem Empfehlungen für eine gelingende und nachhaltige Verankerung des Partizipationsprozesses formuliert wurden.

Im Rück- und Überblick auf das Projekt und seinen Verlauf wird von allem eines deutlich: Partizipation als gemeinsames Gestalten des gemeinsamen pädagogischen Handelns und seines Kontextes ist ein ungemein lebendiges und inspirierendes Unterfangen, das sich immer wieder an wechselnde Verhältnisse anpassen muss und diese selbst mit verändert. Ich wünsche, dass auch für Sie in den Berichten und Beispielen der unterschiedlichen Projektteilnehmer dieses Engagement und die Vielfalt sichtbar geworden sind. Vielleicht konnten Sie auch für sich den einen oder anderen Impuls für die eigene Arbeit, Ihre Interessen entnehmen. Partizipation ist ein Teilaspekt des realen pädagogischen Lebens in unseren Einrichtungen und wird, wie dieses, deshalb auch weitergehen. Jede Einrichtung wird dabei ihren eigenen Weg nehmen. Die Arbeitsgemeinschaft als überspannende Vernetzung wird diese Wege begleiten und, wo nötig, unterstützen. Ich danke allen aktiven Projektteilnehmern für ihren großartigen Einsatz, der Projektleitung für ihr hartnäckiges und einfallsreiches Engagement und Ihnen für Ihr Interesse.

– Für die Einrichtungen der AGE, Detlev Wiesinger, Vorstand