Partizipation als Chance
unserer Pädagogik

Einrichtung

Kinderdorf St. Josef Unterriffingen

Teilhabe und Beteiligung haben im Kinderdorf St. Josef Unterriffingen eine lange Tradition. Seit November 2016 wird die bestehende Heimordnung überarbeitet und neu gestaltet.


Das Kinderdorf St. Josef befindet sich in Bopfingen-Unterriffingen, einer kleinen Ortschaft auf dem idyllischen „Härtsfeld“, einer Region der schwäbischen Ostalb. St. Josef ist eine Einrichtung der Franz von Assisi gGmbH. Diese umfasst in Ostwürttemberg und Stuttgart noch weitere Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe.

In acht unterschiedlichen Wohngruppen, darunter mehrere Intensivwohngruppen bietet das Kinderdorf St. Josef 57 Betreuungsplätze. Fünf Gruppen befinden sich auf dem Kinderdorfgelände, drei dezentrale Wohngruppen sind in den Ortsteilen Unterriffingen, Oberriffingen sowie in Aalen. Das Dorf selbst liegt in einem ländlichen Gebiet, so dass die Natur, die Wälder und die schöne Landschaft direkt erlebt und gut genutzt werden können. Die Einrichtung erstreckt sich über ein weitläufiges Gelände, so dass es viel Platz für Sport, Spiel und die heimeigenen Pferde sowie viele Ruhezonen und Rückzugsmöglichkeiten gibt.

Ein Großteil der Kinder und Jugendlichen bleibt ein bis zwei Jahre bei uns, jedoch leben auch viele junge Bewohner/innen mehrere Jahre, manche bis zur Volljährigkeit im Kinderdorf. Ziel ist, Kindern, Jugendlichen und deren Familien ein adäquates, lebensbejahendes Betreuungsangebot in einem förderlichen und positiven „Milieu“ anzubieten und sie dabei aktiv einzubeziehen. Großen Wert legen wir darauf, dass Kinder und Jugendliche ihren Alltag und das Kinderdorfgeschehen engagiert mitgestalten, Verantwortung übernehmen und somit Selbstwirksamkeit erleben.

Entsprechend der Zielsetzungen des KJHG liegt jeder „Hilfemaßnahme“ ein so genannter „Hilfeplan“ zugrunde, der von allen Beteiligten gemeinsam erstellt wird. Hier fängt bereits die aktive Mitsprache und Mitgestaltung an. Teilhabe und Beteiligung haben im Kinderdorf St. Josef eine lange Tradition und finden sich in allen Bereichen und auf allen Ebenen wider.



Ein Best-Practice-Beispiel

Überarbeitung unserer Heimordnung


Wie fing alles an?

In jeder Wohngruppe werden Kinderkonferenzen abgehalten. Im Mittelpunkt stehen hier die Themen der Kinder und Jugendlichen. Meist sind dies sehr alltagsnahe Dinge, wie Wünsche zur Freizeitgestaltung in den Ferien oder Essenwünsche. Manchmal geht es jedoch um Themen, die wir nicht in der Wohngruppe selbst klären können. Deshalb wählt jede Wohngruppe einmal jährlich einen Gruppensprecher. Diese Vertreter aus den Gruppen treffen sich regelmäßig ca. 6 Mal im Jahr in einer großen Kinderkonferenz (KiKo) mit dem Einrichtungsleiter. Dort haben die Gruppensprecher die Möglichkeit, die Themen der Kinder und Jugendlichen ihrer Wohngruppen anzubringen.

Wenn dies erst einmal passiert ist, werden die Themen an die entsprechenden Foren oder Ansprechpartner weitergetragen. Manche Themen werden auch direkt mit dem Einrichtungsleiter besprochen und verändert. Die Gruppensprecher tragen die Ergebnisse in ihre jeweiligen Wohngruppen, sodass ein steter Informationsfluss in alle Richtungen vorhanden ist. In der großen Kinderkonferenz (KiKo) ist auch der Startschuss zu unserem Projekt gefallen. Die Gruppensprecher haben das Thema Heimordnung und deren Überarbeitung auf den Tisch gebracht. Die bisherigen Regeln waren nicht mehr zeitgemäß.



Wie ging es weiter?

In unserer Einrichtung gibt es eine Partizipationsbeauftragte. Da die Überarbeitung der Heimordnung in diesen Bereich fällt, überlegte diese gemeinsam mit dem Einrichtungsleiter ein Projekt zu starten. Die Gruppenleiter wurden informiert und gaben diese Information in den Teamsitzungen weiter, sodass alle Erzieher der Einrichtung in Kenntnis gesetzt wurden. In diesem Fall übernahmen die Gesamtkoordination für das Projekt der Einrichtungsleiter, die Partizipationsbeauftragte

und ein Auszubildender, der seine Jahresarbeit zu diesem Projekt schrieb. Es gab verschiedene Treffen mit den Jugendlichen und schließlich auch mit Vertretern der Erzieher. Dazwischen wurden Vorschläge und Entwürfe diskutiert und ausgearbeitet. Immer wieder wurden die anderen Kinder, Jugendlichen und Erwachsene über den Zwischenstand des Projekts per Mail und mündlich in Sitzungen informiert.



Was wurde bereits erarbeitet?

Die Gruppensprecher überlegten selbständig, warum und wozu überhaupt gemeinsame Regeln notwendig sind und wie die Regeln sein sollten, damit sie Sinn ergeben.In weiteren Treffen wurde besprochen, was an der jetzigen Heimordnung beibehalten werden sollte und welche Punkte diskussionsbedürftig und zu verändern sind.Dazu bekamen die Gruppensprecher Aufgaben mit in die jeweiligen Wohngruppen. Dort veranstalteten sie „Kinderteambesprechungen“. Die Ergebnisse wurden schließlich wieder in den Großkonferenzen vorgestellt, sodass insgesamt alle Kinder und Jugendlichen der Einrichtung mitsprechen durften.

Die gleiche Aufgabe erhielten auch die Erwachsenen. Alle Ergebnisse wurden gesammelt und gegenüber gestellt. Ziel war es nun, einen Konsens zwischen den Wünschen der Kinder und Jugendlichen und dem Machbaren und den Vorstellungen der Erzieher zu finden. Deshalb trafen sich bei der darauffolgenden Veranstaltung alle Gruppensprecher sowie jeweils ein Betreuer aus allen Wohngruppen. Über die „Fishbowl“-Methode stellten



Fishbowl-Methode

ausgewählte Jugendliche ihre erarbeiteten Ergebnisse vor und gingen mit den Erwachsenen in Diskussion, bis zu jedem Thema ein Konsens gefunden wurde. Bei dieser Methode werden ein innerer Kreis und ein äußerer Kreis gebildet. Grundsätzlich sitzen alle Personen im äußeren Kreis, nur ausgewählte Personen und diejenigen, die etwas zum Thema beitragen wollen, setzen sich in den inneren Kreis. In diesem darf dann diskutiert werden. Wenn alles gesagt ist, begibt man sich wieder in den äußeren Kreis.

Für die weitere Arbeit haben wir einen Kreis aus den verantwortlichen drei Erwachsenen und drei freiwilligen Jugendlichen gebildet. Dieses Redaktionsteam, bestehend aus drei Vertretern der Gruppensprecher, der Partizipationsbeauftragten, dem Auszubildenden und dem Einrichtungsleiter, hat bereits eine neue Struktur und inhaltliche Gliederung ausgearbeitet sowie Vorschläge für ein neues Layout gemacht.

Einen Projekt-Zeitplan finden Sie hier.



Fishbowl-Methode


Zwischenergebnis

Nach der Vorstellung der bisherigen Ergebnisse und der neuen Struktur zur Neufassung einer Heimordnung (die übrigens nicht mehr so altmodisch heißen soll) in der Erzieherkonferenz geht die redaktionelle Arbeit weiter. Für die visuelle Gestaltung und Ausarbeitung werden zunächst Ideen von den Kindern und Jugendlichen eingeholt und in einem weiteren Schritt wird das Redaktionsteam Inhalte ausformulieren und das Layout gestalten.

Mit einer feierlichen Veröffentlichung der neuen „Kinderdorfregeln“ haben die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen nicht nur ein neues „Handout“, sondern alle haben sich miteinander viele Gedanken über die Gestaltung und Formen des gemeinsamen Zusammenlebens im Kinderdorf gemacht.

Rückblick

Was waren Themen an denen wir als Einrichtung in den letzten drei Jahren gearbeitet haben?


In St. Josef ist Partizipation ein zentraler Baustein, der sowohl im Alltag als auch in Projekten gelebt wird. Trotzdem wurde uns die Arbeit durch das AGE-Projekt „Partizipation als Chance unserer Pädagogik“ bewusster und wir öffneten die Augen für dieses weite Arbeitsfeld. Das Jahr 2015 stand mit dem Jahresthema „Partizipation“ unter dem Motto der Beteiligung. So wurde zum Beispiel auch unser naturnaher Spielplatz im selben Jahr durch die Kinder inspiriert, mitgeplant und bei der Umsetzung mitgebaut.

Unser Projekt sollte auf allen Ebenen Anklang finden, deshalb starteten wir mit einer Erzieherkonferenz zum Thema Partizipation. Durch viele Gruppenarbeiten und Vorstellungen im Plenum setzen sich alle damit auseinander. Schließlich gab es eine Umfrage zum Ist-Stand mit verschiedenen Fragen. Hier stellten wir fest, dass die Jugendlichen sehr viel Mitsprache- und Entscheidungsrecht im Alltag haben. Ein Augenmerk legten wir nun auch auf die jüngeren Kinder, denn natürlich haben auch sie bereits Wünsche und Ziele und wir fördern sie nun zunehmend, diese auch zu benennen und offen in der Hilfeplanung zu machen.

Genauso wurden aber auch Hindernisse und Stolpersteine thematisiert. Verschiedene theoretische Inhalte wurden transparent für alle gemacht, beispielsweise die Stufen der Partizipation nach Roger Hart und Wolfgang Gernert.

Auch der Kindergarten St. Maria beteiligte sich aktiv am Projekt. Wir veranstalteten einen Eltern-Informationsabend und „Partizipation“ wurde mit in die Konzeption aufgenommen und kindgerecht wird nun viel im Kindergartenalltag umgesetzt. Bei der Planung des Kinderdorffestes und ebenso bei der Planung unseres jährlich stattfindenden Sommerlagers wurde ein großes Augenmerk auf die Mitgestaltung der Kinder und Jugendlichen gelegt. Diese waren sowohl bei der Vorbereitung der Tagesaktivitäten, der Speisenauswahl, als auch beim Einkauf sowie beim Kochen dabei.



Ausblick und Nachhaltigkeit

Der intensive Prozess zur Neuausrichtung der Kinderdorfregeln aktivierte - zum Teil sehr engagiert, lebendig, umstritten - Kinder, Jugendliche und Erwachsene der gesamten Einrichtung und schaffte dadurch eine neue Identifikation.

Partizipation ist ein wichtiger Baustein zum Demokratieverständnis und für eine Gesellschaft unerlässlich. Kinder erleben sich durch Teilhabe und Mitgestaltung selbstwirksam und übernehmen zugleich Mitverantwortung. In diesem Sinne werden das aktive Leben im Kinderdorf, der Alltag wie auch die großen Projekte, Aktionen, Feiern und Feste künftig weiter gestaltet.

Partizipation erfordert Engagement und somit Zeit. Partizipation setzt eine „Grundhaltung“ voraus und kann nicht nur partiell, sondern in Form einer Kultur gelebt werden. Diese Kultur werden wir im Kinderdorf St. Josef auch in der Zukunft pflegen und leben.

Die vorhandenen Strukturen wie Kinderkonferenzen, Delegiertenversammlung, Projektgruppen etc. werden weiter bestehen und sichern dadurch die regelmäßige aktive Teilhabe und Mitgestaltung. Wir werden weiterhin eine/n Partizipationsbeauftragte/n in der Einrichtung benennen.